Menschen, die keinen ökonomisch messbaren Beitrag mehr in unsere Leistungsgesellschaft erbringen, geraten schnell in Vergessenheit. Das gilt besonders für Senioren.
Gerade wenn der Ehepartner stirbt, geraten viele Rentner in Isolation. Manch einer findet persönliche Ansprache nur noch beim Arzt. Dass Einsamkeit nicht nur traurig sondern auch krank machen kann, zeigt eine Metastudie. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass soziale Isolation das Leben so sehr verkürzen kann wie Rauchen oder starkes Übergewicht.
Einsamkeit im Alter muss nicht sein, dachten sich Katharina Mayer und Katrin Blaschke, beide Mitte 20. Mit ihrem Social Startup „Kuchentratsch“ haben sie nicht nur eine Begegnungsplattform für Senioren geschaffen. Ältere Damen und Herren können sich auch etwas zu ihrer Rente dazu verdienen.
Auf 450 Euro-Basis backen 19 betagte Damen und ein Herr in einer neu renovierten Backstube in München ihre Lieblingskuchen und alles, was das Kundenherz sonst noch begehrt – fast alles: „Wir achten darauf, nur regionale und saisonale Zutaten zu verwenden“, sagt Blaschke.
Im Herbst gibt es daher keine Erdbeerkuchen, dafür aber Apfelstrudel oder “Zwetschgendatschi”. Seit März sind so über 600 Kuchen und 480 Muffins mit viel Liebe und Erfahrung entstanden.

Soziales Backen in München: Die Kuchentratsch-Gründerinnen Katharina Mayer und Katrin Blaschke (v.l.). (Foto: Moritz Roeder)
Kuchentratscher müssen Probebacken
Mitrühren darf, wer im Rentenalter ist, ein Gesundheitszeugnis dabei hat und beim Probebacken überzeugen konnte, denn Qualität ist den Gründerinnen wichtig.
Das soziale Gebäck lieferten Mayer und Blaschke bislang bei Wind und Wetter per Lastenfahrrad an Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen oder Cafés. Doch mit wachsenden Distanzen und Bestellungen steigen Kuchentratsch nun auf einen Lieferservice um. Später wollen sie sich nach Möglichkeiten ein eigenes Elektrofahrzeug leisten.
Doch zunächst müssen Mayer und Blaschke, die sich beim Studium in Innsbruck kennengelernt haben, durch die rauhen Fahrwasser navigieren, die so viele Startups in Seenot bringen. Trotz Gründerpreisen und Unterstützung durch die BMW Stiftung sind Geld und Zeit chronisch knapp.
Also rotieren die Gründerinnen an allen Fronten. Eine Buchungssoftware soll endlich die lästigen Excel-Listen ersetzen. Ein Marketingkonzept muss her, die Backinseln, so heißen die Arbeitsplätze der Kuchentratscher, ausgebaut werden.
„Derzeit backen unsere Senioren 20 Kuchen an drei Tagen in der Woche. Wir müssen auf 30 Kuchen kommen, um uns finanzieren zu können“ sagt Blaschke. An Kuchenproduzenten mangelt es nicht.
Sie kommen, weil sie gern backen, sich für den Theaterbesuch etwas dazu verdienen wollen oder weil sie sonst niemanden haben.
Über eine Crowdfunding-Kampagne bei Startnext hat Kuchentrasch genug Geld einsammeln können, um eine eigene Backstube anzumieten und auszustatten. Was das soziale Unternehmen derzeit am dringendsten benötigt, sind viele Bestellungen. Ab Juli soll ein Online-Shop für weitere Kunden sorgen.
Hier ein Video-Beitrag über Kuchentratsch
Oma strickt
Während Senioren in München rühren und backen, ist das Fürther Unternehmen “Lieblingsoma” im Wollrausch. Über ihr Portal myoma.de vertreiben die Geschwister Verena und Jörg Röthlingshöfer selbstgestrickte Mützen, Schals und sogar Trachten “ihrer Talente”.
Sie heißen Oma Hannelore oder Oma Hedi und verraten in persönlichen Steckbriefen was beim Stricken wichtig ist und wie sie ihr Handwerk erlernt haben. Auch den Röthlingshöfern geht es darum, die ältere Generation zu unterstützen und ihr Können gewinnbringend einzusetzen.
Daher erhält jede “Strick-Oma” für ihre Handarbeit ein Drittel des Nettopreises.
Rentner liefern Einkäufe per Lasten-E-Bike
Gestresste DHL-Kuriere, die mit Päckchen im Arm Treppen rauf und runter stürmen, gibt es beim Wiesbadener Bringservice “Kiezkaufhaus” nicht. Stattdessen bringen ergraute Herren lokale Einkäufe, die Nutzer im Online-Shop des Startups ordern, per Lasten-E-Bikes vorbei.
Kiezkaufhaus ist als Antwort auf den “Lieferwahn” entstanden. Die Gründer ärgerten sich darüber, dass etwa das Amazon-Buch aus einem Lager in Polen kommt, obwohl sich der Verlag in der Nachbarstadt befindet.
Mit ihrem lokalen Lieferservice wollen sich nicht nur Transportkosten und CO2-Emissionen reduzieren. Sie geben auch umweltbewussten Rentnern eine neue Aufgabe.
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